Rezension: Piranesi von Susanna Clarke

Meine persönliche Vorgeschichte

Susanna Clarke erschien 2004 auf der Bildfläche und lieferte mit „Jonathan Strange & Mr Norrell“ eine fulminante Erstveröffentlichung hin, der man in jeder Hinsicht deutlich anmerkte, dass hier keine Jungautorin mal Fantasy schreiben wollte, sondern eine Frau mit viel Schreiberfahrung endlich den Weg zur Veröffentlichung geschafft hatte.

Das äußerst dicke, mit Fußnoten gespickte Buch hat mich damals komplett umgehauen und ich habe es gleich zweimal nacheinander gelesen. Seitdem habe ich es noch zwei weitere Male gelesen, das Hörbuch gehört und die BBC-Verfilmung als Serie geguckt (die ganz okay war, aber das Flair nicht herüberbringen konnte).

Anschließend brachte Susanna Clarke dann auf einmal mit „The Ladies of Grace Adieu“ eine Sammlung von Kurzgeschichten heraus, die mich mit offenem Mund hat dasitzen lassen – so anders als „Strange & Norrell“, obwohl es Geschichten aus dem gleichen Setting waren. So unterschiedliche Genres, Perspektiven, Charaktere; vom Bericht eines ungebildeten Bauernkindes bis hin zum Märchen war alles dabei und alles funktionierte.

Spätestens seitdem war Susanna Clarke also groß auf meinem Radar und ich hörte, dass sie an einem weiteren Roman im „Strange & Norrell“-Setting arbeitete und machte mich auf eine lange Wartezeit bereit. Dann erfuhr ich, dass sie am chronischen Fatiguesyndrom erkrankt war und bereitete mich mental darauf vor, nie mehr was von ihr zu lesen.

Und dann wurde Piranesi angekündigt.

Kein Faerie, kein Strange, kein Norrell, eine völlig neue Geschichte mit eigenem Setting.

Ich war mega gespannt und bestellte das Buch vor, sobald das ging. Im Herbst 2020 erschien das Buch und ich holte es ziemlich müde von meinem Buchhändler ab, denn der Corona-Dauerfrust hatte meine Migräne enorm aufleben lassen und somit verschwand das Buch erstmal in meiner Nachttischschublade, weil ich es genießen wollte, anstatt es halbwach irgendwie wegzulesen (für sowas habe ich Bücher, die ich gut kenne und immer wieder mal aufsuche, wie Asterix, Tim und Struppi oder auch Diana Wynne Jones, Schreckenstein und diverse Mangas).

Diesen Winter war es nun endlich soweit. Ich holte das Buch hervor und begann eines frühen Abends zu lesen. Da es ein kurzes Buch ist, hatte ich es trotz meiner mittlerweile mangelnden Leseausdauer in wenigen Tagen geschafft (bei ca. 45 Minuten Lesezeit täglich).

Zum Buch

Wie angekündigt ist Piranesi ein eigenständiges Werk mit eigenem Setting. Zudem ist es ein relativ dünner Roman. Daher meine Empfehlung: Wer Susanna Clarke noch nicht kennt, hat hier einen perfekten Roman, um ihre Ideen und ihren Schreibstil kennenzulernen, ohne sich mit Kurzgeschichten oder einem epischen Monsterwerk beschäftigen zu müssen.

Das Buch lebt von seinem fantastischen Erzähler, dessen Identität zunächst unklar ist. Aus diesem Grund birgt jegliche Inhaltsangabe die große Gefahr böser Spoiler, denn es ist wirklich am besten, das Buch mit möglichst überhaupt keinen Vorkenntnissen zu erleben, auch wenn ich aus dem Grund mit dem Anfang ein paar Probleme hatte, weil ich völlig andere Erwartungen in mir trug. Sobald ich aber die Erwartungen abschütteln und mich auf den Text einlassen konnte, wurde ich eingesogen und kam nur schwer so weit raus, dass ich das Licht zum Schlafen ausknipsen konnte.

Piranesi bietet neben dem tollen Perspektivträger ein absolut außergewöhnliches Setting, Anflüge von Krimi und Thriller eingebettet in Mystik und Fantasy, fiktive Historie, die mich hat googlen lassen, ob die im Buch auftauchenden Namen auf wahren Persönlichkeiten beruhen (nein), und jede Menge Anreize zum Philosophieren und Nachdenken.

Fazit

Ich habe glaube ich noch nie ein so kurzes Buch mit so viel verschiedenen Inhalten und Aussagen gelesen, das an keiner Stelle eine Doktrin vermitteln wollte und immer spannend war, ohne je gehetzt zu wirken.

Es ist in meinen Augen eine eierlegende Wollmilchsau und das, was ich unter einem perfekten Buch verstehe: Eine Geschichte, die genau so erzählt wird, wie es sein muss, und die einen auf eine packende Reise mitnimmt, die man dann später mit dem Wissen um das Ende auf jeden Fall noch einmal lesen muss.

Das Buch gehört meiner Meinung nach ab sofort auf die Leseliste aller Buchfreunde.

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